Konsumhaltung macht blind und taub für lebendiges Miteinander und versucht sich die Welt in vorgefertigte Häppchen zurechtzulegen. Nicht nur im Umgang mit Pferden führt dies zu lebensfeindlichen Prozessen. Zumeist beginnt das Elend in der Sprache, die unreflektiert und verkürzt in einen kollektiven Kommunikationssupergau überleitet.
Ein ebenso gängiges, wie fundamentales Missverständniss ist die Forderung, ein Sattel müsse in erster Linie „passen“ . Wenn man den Terminus „passen“ als Verweis auf eine konstante Form versteht, ist die Passform eines Sattels ein statisches Element. Dieses wird zwischen die komplexen dynamischen Interaktionsmuster geschoben, die zwischen Pferd und Reiter permanent ausgetauscht werden. Aufgabe und Sinn eines Sattels ist demnach, eine Funktionalität zu bieten, die möglichst viel erwünschte Dynamik zu lässt, ohne gleichzeitig unerwünschte zu erzeugen. Die unabdingliche Passform eines Sattels ist demnach der Funktionalität untergeordnet. Die Passform ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Dieser Zweck, ein individueller einzigartiger Vorgang, wandelt sich ständig. Deshalb gibt es auch keine allgemeingültige, noch nicht einmal eine individuell dauerhaft richtige Passform.
Unterschiedliche Pferderassen in unterschiedlichen Reitweisen zeigen stark abweichende Bewegungsmuster. Selbst wenn die Form der Sattellage ähnlich ist, so ist diese doch nur ein Teil des Gesamtbewegungsmusters und ändert ihre Form mit der Veränderung derselben. Ein guter Reiter kann und wird ein Pferd in vorwärts-abwärts Dehnungshaltung , mit gleichzeitigem Untersetzen der Hinterhand, bringen. Sowohl die empfindliche, bewegungsintensive Schulter, als auch die Lendenpartie werden dann vom Sattel weggezogen. Der Sattel muss, um nicht zu viel zu wippen, eher gerade sein und darf auch etwas länger sein, weil im hinteren Bereich kaum mehr Druck entsteht. Man stelle sich das selbe Pferd vor, unter einem anderen Reiter, der widersprüchliche Signale und Hilfen gibt. Das Pferd wird vorne zusammengezogen und legt sich aufs Gebiss. Es verspannt im Rücken-die Hinterhand stellt sich nach hinten aus. Schulter und Lende drücken in Richtung Sattel .Der selbe gerade Sattel wird jetzt von Schulter und Lende hochgehebelt und liegt dadurch in der Mitte hohl. Wenn das Reitergewicht in der Mitte nicht mehr aufgenommen werden kann, wird es sich nach vorne und hinten verteilen. Es entsteht ein Teufelskreis .Durch den zu hohen Druck vorne und hinten, verspannt das Pferd immer mehr, so dass die Rückenmuskulatur atrophiert. Der Sattel wird in der Mitte immer weniger getragen und drückt immer mehr.
Damit ein Sattel seiner Aufgabe, als Mittler zwischen Reiter und Pferd gerecht werden kann, sollte er den Veränderungen ihrer individuellen dynamischen Interaktionsmuster möglichst weitreichend anpassbar sein. Dies ist ein Vorgang, der permanenter Beachtung und Bearbeitung bedarf, ähnlich den Hufen, die man auch nicht unkontrolliert, den Veränderungen, die die Zeit mit sich bringt, überlassen sollte.
Es ist also mit einer einmaligen Investition, wie dem Erwerb eines Sattels, keinesfalls der Sache genüge getan. Selbst der beste, weil ausreichend veränderbare Sattel, muss regelmässig überprüft werden. Pferde jeglichen Alters können sich innerhalb weniger Tage figürlich soweit ändern, dass eine Sattelanpassung notwendig wird. Die Voraussetzung für die Ermittlung der notwendigen Massnahmen ist selbstverständlich in erster Linie eine umfangreiche Kenntniss und Beurteilungsfähigkeit aller komplexer Bewegungsmuster von Reiter und Pferd : die ganze Psychologie und die ganze Biomechanik. Deshalb kann in der Regel ein Sattler, welcher eben „nur“ gelernt hat, sein Handwerk auszuüben, dieses nicht leisten. Sein Lehrinhalt war zu 98 % identisch mit jemandem, der einen Autositz baut. Das reicht ja auch um eine schöne Naht zu machen und gutes von schlechtem Leder zu unterscheiden. Andererseits sieht auch die Ausbildung zum Reitlehrer keinerlei tiefergehende Beschäftigung mit Sätteln vor. Dieses Feld ist einfach nicht bestellt!
Da die Erfassung dieser Gesamtproblematik kaum in die Köpfe einiger weniger vorgedrungen ist, wundert es nicht, dass es den erforderlichen, anspruchsvollen Beruf eines Reit.-und Sattelmeisters nicht gibt. In der Branche herrscht gedämpftes Chaos. Sattler, Sattelhändler und Kunden liegen im permanenten, unstillbaren Krieg der Halbwissenden. Jeder gibt die Schuld dem Anderen und alle haben recht. Dies ist ein Zustand, wie wir ihn aus Politik und Wirtschaft zur Genüge kennen. Die Pferde sind nicht die allein Leidtragenden, aber die einzig Unschuldigen dieser Misere. Wer seinem Pferd etwas Gutes tun will, sollte die Konsumspähre dort auffahren, wo sie hingehört Durch seine Macht als Verbraucher kann man die vorhandenen Strukturen aufbrechen und sogar ganz zum Verschwinden bringen, indem man mündige, unbequeme Kaufentscheidungen trifft.
Wem es die Mühe nicht Wert ist, der kann es ja lassen mi der Reiterei und es sich, mit viel gespartem Geld, auf einem gemütlichen Sofa bequem machen. Das passt immer.
Hakan Dinekli (Nomad-Sattelservice)