Trapezmuskelfreiheit
Wir leben im grossen oder kleinen Zeitalter der kleinen oder grossen Verwechslungen. Mit der gleichen Ungenauigkeit, die Menschen in ihren Beziehungen untereinander Hingabe und Hergabe verwechseln lässt, werden auch Pferde für den Zweck des reiterlichen Gebrauches zumeist in einer Art und Weise gehalten und behandelt, die dem angestrebtem Ergebnis eher hinderlich ist. Um die dadurch entstehenden Krankheiten und Zwangssituationen auszuschlachten hat sich eine wuchernde Industrie gebildet, die als Abbild und/oder Ursache dieser (un)menschlichen Fehleinschätzung die "passenden" Produkte liefert um diese wirtschaftlich rentable Misere zu kultivieren. Ist es unnötig zu erwähnen, dass wirtschaftliche Rentabilität hier der üblichen kapitalistischen Verwechslung folgend, nicht als gemeinsames effektiv schonendes Vorwärtskommen verstanden wird, sondern als reine Geldmacherei, wobei letztendlich kopf und sinnlos wertvolle Ressourcen vernichtet werden?
Der Unterschied zwischen HIn und Hergabe eben, welcher uns bei genauerem Hinsehen von unseren Pferden in der ihnen eigenen Präzision ständig gespiegelt wird.
In der Sattelindustrie ist in den letzten 20 Jahren eine stumm zum Himmel schreiende Fehlentwicklung zu beobachten, die das Pferd im Zentrum seines natürlichen Bewegungsdranges trifft, lähmt und zielführend gefügiger macht.
Der moderne Dressursattel mit extrem schmaler Sitzfläche, der den Reiter im ohnehin vorhandlastigen Pferd durch ein hohes Efter (Cantle)in Kombination mit einem im Ansatz schon sehr früh nach hinten ansteigendem Sitzprofil, spaltsitzartig in Richtung Widerrist drückt und diese überstreckte, zur Balancierung ungeeignete, Dressursitz genannte Zwangshaltung, nach vorne durch riesige Pauschen absichert, ist nicht nur eine Bankrotterklärung des Reiters sondern schädigt auch in eklatanter Weise das Pferd.
Da jeder zwar für sein eigenes Elend verantwortlich sein darf, diese Freiheit aber ihre Grenze in der Erzeugung von Elend für Andere findet, nutze ich die Gelegenheit um auf einen Umstand hinzuweisen, der im Bewusstsein der meisten Reiter noch keinen Platz gefunden hat.
Das Pferd hat einen Muskel , welcher seitlich am Widerrist angesetzt ist, den Trapezmuskel. Dieser Halsmuskel ist ungeeignet um Reitergewicht aufzunehmen, da die Dehnungshaltung(Vorwärts-Abwärts) ein aktives Aufwölben seitlich am Widerrist erfordert, welches unter Druck nur unzureichend oder gar nicht erfolgen kann. Die Dehnungshaltung wiederum ist Voraussetzung für ein Tragfähigkeit erzeugendes Rückenaufwölben mit Untersetzen der Hinterhand. Wie immer schliesst oder öffnet sich der Kreis nur am schwächsten Punkt.
Dies ist der relativ kleinflächige Trapezmuskelansatz seitlich am unteren Widerrist.
Die extrem schmale Sitztaille wird beim Dressursattel durch einen ebenso schmalen Baum, der oft als gewichtsverteilend, gerade in der beim Pferd dafür am besten geeigneten Mitte gar nicht mehr vorhanden ist, erkauft. Dieser schmale Baum macht es technisch unmöglich die Sattelkissen im vorderen Bereich tief genug anzusetzen, mit der Folge, dass sie in der Regel genau auf dem Trapezmuskel liegen. Gepaart mit der geringen Auflagefläche in der Mitte und dem nach vorne getriebenen Spaltsitz, wirkt dieses selbst bei gut gerittenen, ansonsten gesunden Pferden ,die durch Rückenaufwölbung diese Problemzone etwas entlasten können zumindest bewegungseinschränkend. Bei schlecht gerittenen mit zusätzlichen Behinderungen ausgestatteten Pferden ist so eine "Reitklammer" oft der Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringt.
Leider werden aus Unkenntnis der Pferdeanatomie, selbst von Sattlern, Tierärzten und hochdekorierten Sportreitern gerade diese Sättel als "passend" gelobt, die besonders erfolgreich klammern, was wohl der Tatsache geschuldet ist, dass diese beim gewünschten verkrampften Zinnsoldatenbewegungsmuster der Pferde relativ ruhig liegen und den Balanceverweigerungsgeradestrammsitz der konsumorientierten Nichtreiter unterstützen.
Nicht nur in der Politik und der Wirtschaft sind sich die "Oberen" einig, was Ausbeutung und Freiheitsentzug der "Schwachen" angeht.
Dass diese ausgesessene Tragödie im besonderen auf hochpreisige sogenannte Massättel zutrifft, macht deutlich ,dass im Leben nichts teurer sein darf ,als die eigene Dummheit.
Ein Sattel mit breiterem Baum, der ein vorne tief genug angesetztes Polster ermöglicht wird folgerichtig etwas breiter im Sitz ausfallen, es sei denn dieser wird, ähnlich wie bei spanischen Sätteln höher aufgebaut. Herstellung und Anpassung sind auch ungleich schwieriger, da die Winkelungen und Biegungen des Baumes gut durchdacht und am besten veränderbar sein sollten, da Pferde jeglichen Alters sich in kürzester Zeit körperlich verändern können. Ein auf die Sitzschale reduzierter Baum dagegen, braucht ausser in der Kammer nicht verändert werden, da keinerlei relevante Auflagefläche mehr vorhanden ist. Interessanterweise werden gerade solche Machwerke als individuell massgefertigt beworben-und bezahlt!
Der Mensch neigt dazu sich in Unsicherheits und Gefahrensituationen wie ein Embryo einzurollen, dazu gehört auch das Zusammenpressen der Beine, was bei verkrampfter Haltung durch den schmalen Klammerspaltsitz unterstützt wird. So eine Verkrampfung überträgt sich unmittelbar aufs Pferd. Korrekt und dem Pferd zuträglicher, sollte das Bein locker sein und hinten tief auf dem Sitzbein eingesessen werden mit frei beweglicher Hüfte, was eine effektive Balancierung des Oberkörpers vorbereitet.
Wenn der Sattel im Schritt oder am Oberschenkel zwickt, so sollte der Reiter in erster Linie an seiner Haltung arbeiten, anstatt in ausgefeilte "Sitzgefängnisse" zu investieren. Der "richtige Sitz" ist insofern auch eine der gängigen Verwechslungen. Bequem und damit richtig sitzen kann ich daheim auf dem Sofa. Reiten ist in erster Linie die Koordination von gegenläufigen Bewegungsmustern. Ein guter Sattel sollte so viel wie möglich davon zulassen.
Hakan Dinekli