Spezialpferderassen brauchen Spezialsaettel
Der Sattelmarkt in Deutschland wird in erster Linie von Englischsätteln dominiert. Diese sind zumeist für den durchschnittlichen Warmblüter konzipiert und bei geringer Auflagefläche und unzureichender Veränderungsmöglichkeit für den Einsatz bei Spezialpferderassen wie z. B. Araber, Iberische Pferde, Friesen, Tinker, Lipizzaner, Knabstrupper, Criollos etc. ungeeignet.
In zunehmender Zahl werden Quarter Horses, Pinto, Paint, Appaloosa und andere Westernpferde geritten und das vernünftigerweise mit Westernsätteln traditioneller amerikanischer Machart. Diese Westernsättel werden auch oft und gerne bei anderen Pferderassen inklusive Warmblütern verwendet. Hier entsteht die Problematik, dass der relativ lange grossflächig aufliegende Westernsattel bei nicht geraden Rücken, die den tiefsten Punkt der Sattellage in der Mitte zeigen, schon durch leichte Figurveränderungen unpassend wird. Der traditionelle Westernsattel wird nur über unterschiedlich geformte Bäume angepasst. Es gibt zwar mittlerweile auch einige Sattelbäume, die in ihrer Form zu quarteruntypischen Sattellagen passen, doch sind diese eher selten und wegen der nichtvorhandenen Polsterung nur durch eine arbeitsaufwändige und ineffektive Baummanipulation bedingt änderbar. Bei einem gut gebauten Quarter ist die Mitte der Sattellage zumeist der höchste Punkt des Rückens, was durch den rassebedingt auch in untrainiertem Zustand mächtigen langen Rückenmuskel noch unterstützt wird. Idealerweise bildet der lange Rückenmuskel die Hauptauflagefläche des Sattels und trägt diesen bei bewegungsbedingter Aufwölbung über die vorderen und hinteren Problemzonen hinweg. Im Schulter/Wideristbereich entsteht durch die Bewegung der stärkste Gegendruck gegen den Sattel, weshalb bei ungenügender Freistellung das Pferd in der Bewegung behindert wird und der Sattel in eine nachteilige Eigenbewegung gerät. Im Lendenbereich finden wir eine gleichzeitige Auf und Ab, sowie Seitwärtsbewegung, die nach hinten immer stärker wird. Je nach Gebäude und Ausbildungsgrad wird dieses Pendeln zur Kompensation von Balanceschwierigkeiten und bei überbauten Pferden zum effektiveren Untersetzen der Hinterhand noch gesteigert.
Im mittleren Bereich ist das Pferd am tragfähigsten und produziert auch die wenigste Bewegung und den geringsten Gegendruck. Deshalb sollte ein Sattel, der seiner Funktion gerecht wird auch in diesem Bereich möglichst grossflächig aufliegen um die nötige Stabilität zu gewährleisten. Der Teil des Reitergewichtes und seiner Einwirkung, der in der Mitte nicht aufgenommen werden kann, steht zur Bewegungseinschränkung und Irritation des Pferdes im vorderen und hinteren Bereich voll zur Verfügung und wirft die Frage auf, ob dies Sinn und Zweck eines Sattels sein sollte.
Wenn wir hilfsweise diese Unterteilung des Pferdes in vorderen, mittleren und hinteren Bereich vornehmen, lässt sich beobachten, dass bei unterschiedlichen Pferderassen diese auch in unterschiedlichsten Ausprägungen und Beziehungen zueinander stehen.
In den durch Klima, Bodenbeschaffenheit und Futterangebot unterschiedlichsten Ursprungsregionen entstanden durch gezielte Zuchtauslese sowie hochspezialisierte Verwendung und Reitweise Pferdetypen, die in körperlicher Konstitution, Charakter und Bewegungsmuster stark differieren.
Das Ignorieren dieser Unterschiede ist leider ein fundamentaler Bestandteil unserer Kulturarroganz und zeigt sich einhergehend mit der fehlenden gedanklichen Beschäftigung auch in der geringen Verfügbarkeit von adäquaten Sätteln. AEhnlich der Situation in der aktuellen Integrationsscheindebatte verlangt man von Individuen die Anpassung an eine undifferenzierte und nicht klar definierte Massenkompatibilität und stellt damit die Tatsache auf den Kopf, dass echte Integration in der gesellschaftlichen Erweiterung und Bereicherung durch den Gesundheit und Fortbestand sichernden Erneuerungsimpuls der Andersartigkeit stattfindet.
Für den Sattler und den Reiter bedeutet dies sich gleichermassen mit der individuellen Besonderheit des Einzelnen Pferdes vertraut zu machen, eine Haltung und Reitweise zu praktizieren, sowie einen Sattel zu bauen/finden, der diesem Rechnung trägt.
Dass dieses eine komplexere Vorgehensweise aller Beteiligten erfordert ist zwar unbequem, lässt sich aber nicht umgehen. Wenn aus Mangel an Kompetenz und/oder Geldmangel dieses nicht umgesetzt wird, so verdeutlicht sich wohin "Geiz ist geil" und "Nach mir die Sintflut" Mentalität führen. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Fachleuten zum Wohle des Pferdes und des Reiters kann so nicht gedeihen.
Die Branche der Sattelhändler, Sattler und Sattelproduzenten ist sowohl über, als auch unterbewertet. Das umfangreiche Wissen und Know How um das komplexe dynamische Beziehungsgeflecht, welches in der Interaktion zwischen Reiter, Pferd und Sattel entsteht, ist nicht zuletzt deshalb so selten anzutreffen, weil es vom Kunden in der Regel nicht gewürdigt und erst recht nicht angemessen bezahlt wird.
In die Lücke, die zwischen einem diffusen Qualitätsanspruch der Kunden und der Unerfüllbarkeit durch die am Markt etablierten Sattelprodukte klafft, drängt sich einerseits eine Fülle von lieblos und billig produzierten Baumlos-Sätteln, eine überschaubare Anzahl von mittelpreisigen, handwerklich mittelmässigen Produkten und handwerklich hochwertigeren Sätteln im oberen Preissegment, die allerdings ob ihrer gleichsam fehlenden Funktionstüchtigkeit das krasseste Preis-Leistungs-Missverhältnis beinhalten.
Die Wahl zwischen Teufel, Beelzebub und menschlichem Machwerk trifft der Kunde dann nach Format seines Geldbeutels oder seines persönlichen Prestigeprofiles und das Pferd bleibt Draussen. Kleiner Schönheitsfehler, dass dieses "Draussen" viel zu oft schlecht gelüftete Boxenhaft bedeutet.
Hakan Dinekli